Die verlassene Kokerei, die in der Urbex-Szene auch liebevoll „Usine Barbelé“ genannt wird, befindet sich am westlichen Rand von Lüttich, in der Stadt Seraing. Sie gehörte zu einem weit verzweigten Stahlwerkskomplex, dem Stahlwerk Cockerill.
Entlang der Maas stehen noch heute zahlreiche verlassene Industrieanlagen aus der Hochphase der wallonischen Schwerindustrie. Viele dieser Werke waren bis vor wenigen Jahrzehnten noch in Betrieb und prägten Lüttich und Seraing als prosperierende Industrie- und Arbeiterstädte. Der Niedergang dieser Industrie ist bis heute im Stadtbild sichtbar, das sich mit den Fabriken entwickelt hat.
Das Gelände, auf dem sich später die Kokerei befand, wurde 1882 von der Firma Cockerill erworben und bereits früh für die Stahlindustrie genutzt. Über die Jahrzehnte entstanden dort mehrere Generationen von Koksöfen, die den wachsenden Brennstoffbedarf der umliegenden Hochöfen decken sollten.

Lost Place Usine Barbelé in Seraing
Die moderne Kokerei von Ougrée, wie sie heute als Lost Place bekannt ist, entstand jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ersetzte ältere, technisch überholte Anlagen und war Teil einer groß angelegten Modernisierung des gesamten Stahlstandorts von Cockerill.
Der Name Usine Barbelé (französisch für „Stacheldrahtfabrik“) bezieht sich auf die massive Absicherung der verlassenen Fabrik. Weitläufig wurde die verlassene Kokerei mit Bauzäunen und Stacheldraht vor ungebetenen Gästen abgesichert.

So funktionierte die Kokerei in Lüttich
Die Kokerei produzierte Koks aus Kohle, um diesen als Brennstoff in das benachbarte Stahlwerk zu liefern. Koks ist ein poröser, stark kohlenstoffhaltiger Brennstoff, der durch ein aufwendiges Verfahren gewonnen wird und beim Verbrennen weniger Ruß, Schwefel und Rauch abgibt. Vor der Erfindung des Koks wurde ausschließlich Holzkohle in der Eisen- und Stahlindustrie verwendet.
Die Kohle wurde per Schiff über den Kanal Maas in die Kokerei geliefert. Ein kleiner Teil wurde auch per Zug transportiert. Weil die angelieferte Kohle unterschiedlicher Herkunft war, hatte sie unterschiedliche Qualität und oft keine einheitliche Größe. Deshalb durchlief sie zunächst einen Brecher, bevor sie in einem der Silos eingelagert wurde. Dazu wurde die Kohle auf kleine Körner von etwa zwei Millimetern Größe zerkleinert.
Produktionsablauf der Kokerei
Die Kokerei Seraing verfügte über vier Ofenbatterien mit insgesamt 139 Öfen und konnte in Spitzenzeiten 800.000 Tonnen Koks pro Jahr produzieren.
Neben jeder Ofenbatterie befand sich ein Kohlenbunker, in dem Vorräte aus dem Brecher lagerten. Ein Füllwagen, beziehungsweise ein Kran, transportierte die Kohle aus dem Bunker in die Füllöffnungen der Koksöfen. Diese waren ähnlich wie Hochöfen konzipiert und im Inneren mit hitzebeständigen Schamott oder Silikasteinen ausgemauert. Diese Ofenbatterien waren meist als sehr lange Bauten mit vielen vertikalen Schlitzen zu erkennen.
In den luftdichten Kammern wurde die Kohle 16 Stunden lang bei 1200 Grad Celsius zu Koks verarbeitet. Aufgrund des fehlenden Sauerstoffs kam keine Verbrennung zustande. Durch die enorme Erhitzung der Kohle, verflüchtigten sich diverse Stoffe, die nicht in der Kohle gebraucht wurden und stattdessen anderweitig verwertet werden konnten. Eine Kokerei hatte damit nicht nur die Aufgabe, einen optimalen Brennstoff für Hochöfen zu liefern, sondern zugleich auch jene Stoffe weiterzuverarbeiten, die nicht in der Kohle benötigt wurden.
Auf der Rückseite der Ofenbatterie, der Maschinenseite, entfernte eine „Drücklok“ die fertigen Koksblöcke aus den Ofenkammern und stieß sie auf die andere Seite. Das fertige Koks fiel dann auf der Koksseite in bereitstehende Löschwagen. Löschwagen hatten ihren Namen, weil in ihnen das 1200° heiße Koks abgelöscht wurde. Durch den Kontakt mit der Luft, beziehungsweise dem darin enthaltenen Sauerstoff, entzündete sich das Koks, weshalb es abgelöscht werden musste, weil es erst in den Hochöfen der Stahlwerke verbrannt werden sollte.
Ablöschung des heißen Brennstoffs
Um die ungewollte Selbstverbrennung des Brennstoffs zu unterbinden, musste das heiße Koks schnell abgelöscht werden. Ein gängiges Verfahren war die Koksnasskühlung, das auch in der Kokerei eingesetzt wurde. Dabei verdampfte allerdings rund ein Drittel des Löschwassers, was einen Verlust wertvoller Energie bedeutete. Die Wärme hätte an dieser Stelle noch in elektrische Energie umgewandelt werden können. Zudem war der Wasserdampf mit Schwefelwasserstoff und Staub verunreinigt. So lagen die Messwerte bei 200 bis 2000 Gramm Staub pro Tonne abgelöschten Koks.
Aus diesen Gründen wurden im Laufe der Zeit alternative Verfahren entwickelt, etwa die Trockenkühlung, bei der die Wärme zurückgewonnen werden konnte. Solche Systeme kamen in Ougrée jedoch nicht mehr zum Einsatz, da sich die Stahlindustrie bereits in einer strukturellen Krise befand.
Entstehung der Kokerei Seraing
Im Jahr 1809 wurde ein großes Stahlwerk in Ougrée gegründet. Zu dieser Zeit begann sich die Stahlindustrie in Belgien zu entwickeln und es kamen ständig neue Innovationen auf.
John Cockerill, ein Unternehmer aus England, erbaute schließlich mit seinem Bruder 1821 den ersten Koks-Hochofen in Seraing. Das war ein wichtiger Impuls für die wallonische industrielle Revolution. Für die Gewinnung des Koks-Brennstoffs nutzte er die Kohlegrube Colard bei Seraing, in deren Nähe er seine erste Kokerei errichtete. Die Firma produzierte unter anderem große Dampfmaschinen und stellte Schienen für den Bahnbetrieb her, womit sie eine große Nachfrage bediente, welche das Unternehmen schnell wachsen ließ.
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs zwang die Finanz- und Industriekrise von 1839 Cockerill zur Auflösung seiner Firma und verursachte große Probleme in der ganzen Region Seraing. Nach dem Tod John Cockerills blieb der Industriestandort Seraing jedoch erhalten.
Die neu gegründete Société anonyme John Cockerill führte den Betrieb weiter und entwickelte die Anlagen im Laufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich weiter. In dieser Zeit wandelte sich das Unternehmen zu einem umfangreichen Stahlkonzern. Hochöfen, Walzwerke und Nebenbetriebe wurden erweitert oder neu errichtet, um mit dem rasanten technischen Fortschritt und der wachsenden Nachfrage Schritt zu halten.
Die erste Kokerei in Ougrée wurde 1882 von der Firma erbaut. Auf dem Gelände wurden über die Jahre weiterhin verschiedene Generationen von Kokereien gebaut.

Im Jahr 1955 fusionierte das benachbarte Stahlwerk mit der Société anonyme John Cockerill zur Cockerill-Ougrée. Daraufhin wurde eine umfangreiche Modernisierung des Komplexes vorgenommen und 1957 wurde somit die heutige Kokerei in Ougrée gebaut. Das Stahlwerk wurde mit Förderbändern direkt an die Kokerei angeschlossen, da es einen enormen Bedarf an Brennstoff hatte.
Stilllegung der Kokerei
Bereits der Erste Weltkrieg führte ab 1914 zu einem deutlichen Rückgang der Stahlproduktion in Ougrée. Teile der Infrastruktur wurden beschädigt, und der integrierte Produktionsablauf aus Hochöfen, Walzwerken und Nebenbetrieben kam zeitweise zum Erliegen. Auch nach dem Krieg erholte sich die Industrie nur langsam.
Mit dem Zweiten Weltkrieg erlitt das Stahlwerk ab 1940 erneut schwere Einbußen. Die Anlagen wurden teilweise zerstört oder demontiert, und die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich erheblich. In den 1950er-Jahren folgte die Schließung der regionalen Kohlebergwerke, darunter auch der Grube Ougrée. Zwar blieb das Stahlwerk weiterhin in Betrieb, doch war es fortan auf importierte Kohle angewiesen – ein frühes Zeichen des strukturellen Wandels der Schwerindustrie in der Region.
Trotz Modernisierungen und der Errichtung der neuen Kokerei im Jahr 1957 geriet das integrierte Stahlwerk von Ougrée in den folgenden Jahrzehnten zunehmend unter Druck. Internationale Konkurrenz, Überkapazitäten in der europäischen Stahlproduktion sowie steigende Umweltauflagen führten zu wiederholten Restrukturierungen. Schrittweise wurden Hochöfen stillgelegt, wodurch auch der Bedarf an Koks kontinuierlich sank.
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 beschleunigte diesen Prozess erheblich. Das benachbarte Stahlwerk stellte in den folgenden Jahren den Betrieb schrittweise ein, bis 2014 schließlich die letzten Hochöfen außer Betrieb gingen. Mit dem Wegfall der Hochofenproduktion verlor auch die Kokerei ihre wirtschaftliche und technische Grundlage und wurde im selben Jahr stillgelegt.
Eine Wiederinbetriebnahme der Kokerei war ausgeschlossen. Koksofenbatterien müssen dauerhaft auf Betriebstemperatur gehalten werden; nach dem Abkühlen führen Spannungen und Rissbildungen in der feuerfesten Ausmauerung zu irreversiblen Schäden. Mit dem Erlöschen der Öfen war daher klar, dass die Kokerei Ougrée endgültig außer Betrieb bleiben würde.
Nach der Stilllegung entwickelte sich die Anlage zu einem bekannten Lost Place, zog zahlreiche Urbexer an und geriet zugleich zunehmend in einen baulich kritischen Zustand. Im Zuge der vollständigen Räumung des ehemaligen Stahlwerksareals erfolgte am 25. September 2025 um 11:30 Uhr die kontrollierte Sprengung des rund 120 Meter hohen Schornsteins sowie des etwa 50 Meter hohen Kohleturms. Bereits mehrere Jahre zuvor hatte der Rückbau des benachbarten Stahlwerks begonnen. Mit dem Abriss der Kokerei verschwand einer der letzten sichtbaren Bestandteile des einst größten Stahlwerkskomplexes Europas und der industriellen Geschichte Belgiens.















