Die Zeche Auguste Victoria war eine große Schachtanlage in Marl, Nordrhein-Westfalen, welche das Ruhrgebiet mitprägte – heute ist das Bergwerk verlassen und viele der großen Hallen stehen leer. Wir blicken auf die ersten Jahre der Zeche, wie es vor zehn Jahren zur Schließung kam und welche Gebäude heute verlassen sind.
Historie der Zeche Auguste Victoria
Die Zeche in Marl wurde nach Auguste Victoria, der letzten deutsche Kaiserin, Königin von Preußen und Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg benannt. Ihr voller Name war übrigens Auguste Viktoria Friederike Luise Feodora Jenny. Als Gemahlin von Kaiser Wilhelm II war sie von 1888 bis 1918 Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen.
Gründung und Führung
Die Gründung der Zeche geht bis ins 19. Jahrhundert zurück, als der Düsseldorfer Kommerzienrat August Stein und der Ingenieur Julius Schäfer 1897 bei Schürfbohrungen auf Steinkohle stießen. 1898/1899 gründeten sie die bergrechtliche Gewerkschaft Auguste Victoria und erwarben dazu die bestehenden Grubenfelder Hansi 1 und Hansi 2. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Felder als zusammengefasstes Grubenfeld Auguste Victoria für den Steinkohleabbau freigegeben. Herr Stein führte die Zeche in Marl, bis er sie am 01.07.1903 an seinen Sohn Paul übergab. 1907 erwarb der Großkonzern BASF das Bergwerk, das 1937 in die IG Farbenindustrie AG überging – Paul Stein blieb noch bis 01.07.1939 Direktor der Zeche und wechselte dann in den Vorstand. Am 1. Januar 1991 verkaufte BASF das Bergwerk Auguste Victoria an die Ruhrkohle AG (RAG).
Komplikationen bei Teufarbeiten
Ein Jahr nach der Gründung der Gewerkschaft begannen 1899/1900 die Teufarbeiten an den ersten zwei Schächten in Marl. Schon nach 40 Metern Teufe kam es jedoch zu ersten Problemen an den Schächten, weil diese zu viel Wasser führten und es Schwierigkeiten gab, dieses abzupumpen und zeitgleich den Schacht durch die weichen Gesteinsschichten (Ton, Sand, Kalk) tiefer zu treiben. Deshalb stoppten die Teufarbeiten zunächst.
Weiche Gesteinsschichten (Mergelschichten) machten den Schacht instabil, weil ständig Material von den Wänden nachrutschte. Daher wurde bei Schacht 2 das Gefrierverfahren zum weiteren Abteufen eingesetzt, bei dem das im Boden enthaltene Wasser erst gefroren und anschließend der feste Boden abgetragen wurden. Dieses Verfahren wurde bei Zechen mit wasserführenden Gesteinsschichten, wie der Zeche Niederberg, eingesetzt.
So funktionierte das Gefrierverfahren im Bergbau
Wurde bei den Teufarbeiten eine wasserführende Schicht erreicht, konnte mittels des Gefrierverfahrens die nasse Schicht erst eingefroren und dann abgebaut werden.
Rund um den geplanten Schachtverlauf herum wurden dazu mehrere Löcher senkrecht in den Boden gebohrt, in die dann Rohre eingesetzt wurden. Anschließend wurde Kühlmittel in diese Rohre gepumpt, wozu früher Sole und später flüssiger Stickstoff oder andere Kältemittel genutzt wurden. Durch die strahlende Kälte gefror das umliegende, wasserhaltige Erdreich – es bildete sich ein Gefrierkörper um den abzubauenden Boden. So konnte anschließend der mittlere Bereich zwischen den Kühlkörpern abgebaut werden, während die gefrorenen Wände stabil gehalten wurden, bis Stützen und Schachtwände installiert waren.
Komplikationen: Schacht AV 1 wird weiter geteuft
Da bei den Teufarbeiten weitere Komplikationen auftraten, bei denen der Schacht 1 von Zeche Auguste Victoria in Marl einen schiefen Verlauf annahm, stoppten die Teufarbeiten des ersten Schachts im Jahr 1902 erneut. Infolgedessen konzentrierte man sich auf den Schacht AV 2 und benannte diesen in „Schacht 1 Auguste Victoria“ um, da nicht vorhersehbar war, ob der ursprüngliche Schacht 1 jemals weiter geteuft werden würde. Zur Weiterverfolgung des ursprünglichen Plans einer Zeche mit zwei Schächten, begannen 1903 erneut die Teufarbeiten an „Schacht AV 2“, bei dem ebenfalls das Gefrierverfahren eingesetzt wurde. Nun wurden beide Schächte parallel in den Boden getrieben, bis 1904 in 580 Metern Teufe die Karbon-Ebene im Schacht AV1 und ein Jahr später auf 591 Metern in Schacht AV2 erreicht wurde. Dies war die erste Ebene, auf der es reichlich Steinkohlevorkommen zum Abbau gab (Flöze).
Die erste Förderung auf Zeche Auguste Victoria in Marl
An Schacht AV1 (ehemals Schacht 2) und dessen Nachbar AV2, konnte 1905 und 1906 mit der Förderung begonnen werden. Nachdem sie in Betrieb genommen worden waren, konnte ein Durchschlag zwischen den beiden Schächten auf Sohle 1 geschaffen werden.
1907 begann noch vor Ort die Produktion von Koks in einer eigenen Kokerei. In diesen Fabriken wurde Steinkohle in speziellen Öfen, den Koksofenbatterien, auf hohe Temperaturen (900°C bis 1400°C) erhitzt, um flüchtige Bestandteile aus der Kohle heraus zu holen, die dann als Gas entwichen, während der kohlenstoffreiche Koks, gemischt mit Asche, übrig blieb. Aus dem Gasgemisch, dem Rohgas, konnten neue Produkte wie Benzol, Ammoniak und Schwefel gewonnen werden. Auf dem Gelände der Zeche Auguste Victoria entstand somit eine eigene Benzolfabik neben der Kokerei.
Drohende Schließung
Der Beginn des Ersten Weltkriegs (1914) reduzierte die Förderleistung um 35 % und Teile der Kokerei mussten deshalb stillgelegt werden. Im Personal kamen Unruhen auf und es wurde aufgrund der Inflation massiv für mehr Lohn, bessere Lebensmittelversorgung und Arbeitszeitreduzierung gestreikt. Die Zechenleitung sah sich 1918 mit einer möglichen Schließung der Zeche konfrontiert, die jedoch dank Einigungen mit den Gewerkschaften 1919 verhindert werden konnte. Kurz darauf, im Jahr 1921, waren dann mit 3953 Bergleuten mehr Männer als je zuvor in dem Bergwerk in Marl beschäftigt und Auguste Victoria expandierte erstmals mit einer neuen Schachtanlage, AV 3.
Die Produktion lief gut und 1928 begannen die Teufarbeiten für Schacht 4, der ein Jahr später in Betrieb ging, gefolgt von Schacht 5, der 1930 abgeteuft wurde. Dennoch musste das Bergwerk weiter eng berechnen und drohte 1931 seinen Bergleuten mit Kündigung, wenn diese sich nicht mit einer Lohnkürzung von 12% einverstanden erklärten, was erneut zu Streiks führte.
Weitere Schächte und Schließung des Bergwerks
Kurz nach Beginn der Förderung in den neuen Schächten 4/5 entdeckte man Flöze mit reichlich Blei-Zink-Erzvorkommen. Ab 1938 wurde das Erz aus Schacht 4 und 5 gefördert, womit in den kommenden Jahren rund 20% des gesamten deutschen Erzabbaus nur von Zeche Auguste Victoria stammten.
Mit der Zeit sanken die Gewinne und die Erzförderung kam nach 24 Jahren, 5,5 Millionen Tonnen gefördertem Blei-Zink-Erz und 400 Tonnen Silber, 1962 zum Stillstand. Aus den Schächten AV4 und AV5 wurden Wetterschächte, bis Schacht 5 im Jahr 1967 verfüllt wurde. Somit verblieb nur noch Schacht 4 als Wetterschacht, der erst 1999 verfüllt wurde.
Schacht 3 und 7 ersetzen AV1/AV2
Ab 1957 begannen die Teufarbeiten an Schacht 7, der sich neben Schacht 3 befand und 1960 als neuer Förderschacht in Betrieb genommen wurde. Die beiden Schächte 3 und 7 lösten 1966 die Schächte AV1 / AV2 ab. Das ursprüngliche Zechengelände in Marl wurde 1966 mitsamt seiner Kokerei stillgelegt.
Schacht AV8 Haltern am See
Schacht 8 wurde 1963 im Grubenfeld Lippramsdorf als neuer Wetterschacht für die anderen Schachtanlagen abgeteuft und 1972 mit den Schächten AV3 und AV7 verbunden. Diese hatten sechs Jahre zuvor die ursprünglichen Schächte 1 und 2 abgelöst.
1978 erfolgte der Umbau zum Seilfahrts- und Materialförderschacht, der bis 1980 auf 1330m geteuft wurde. Ein weiterer Schacht wurde 1987 abgeteuft und 1990 auf einer Teufe von 1200m als Schacht AV9 in Betrieb genommen. Dies sollte der letzte Schacht des Bergwerks Auguste Victoria sein.
Die letzten Jahre des Bergwerks
Zuletzt betrieb das Bergwerk Auguste Victoria mit 3800 Bergleuten also die Schächte 3/7, AV8 und AV9, um Steinkohle abzubauen. Die ursprünglichen Schächte AV1 und AV2 wurden 2007 und Schacht AV6 im Jahr 2012 verfüllt. Drei Jahre später, am 18.12.2015, folgte mit der Stilllegung des Bergwerks Auguste Victoria die Schließung einer der letzten Zechen im Ruhrgebiet. Lediglich Prosper-Haniel in Bottrop war noch bis Ende 2018 in Betrieb.
Im Juni 2016 wurde AV9 verfüllt. Die Verfüllung des Schachts Auguste Victoria (AV) 8 folgte im Jahr 2017.
Lost Place Bergwerk Auguste Victoria
Viele der ehemaligen Zechengebäude sind noch heute erhalten und nur wenige werden weiter genutzt. 2005 wurde im ehemaligen Maschinenhaus von Schacht AV4 ein Bergbaumuseum eröffnet. Das ehemalige Zechengelände von AV3/7 wird ab 2027 zu einem Industriepark.
Auf dem ehemaligen Zechengelände AV1/2 wurde eine Eventlocation in der ehemaligen Grubenausbauwerkstatt des Bergwerks eingerichtet.
An der alten Schachtanlage AV1/2 stehen aber heute noch die alten Fördermaschinenhäuser, die Schwarz- und Weißkaue sowie das Ausrüstungshaus samt Lampenstube, die keine neue Verwendung haben. Sie sind mit zahlreichen Holzbrettern versiegelt worden und warten offenbar noch auf neue Pläne der Stadt.