Das knapp 300 Hektar große Waldgebiet Wernerwald bei Cuxhaven, das seit dem späten 19. Jahrhundert zu einer Schutzzone gegen Überschwemmungen gehört, hat eine spannende militärische Vergangenheit. Auf dem Gelände gibt es mehrere Kontroll- und Mannschaftsbunker, eine Kaserne und einige Startrampen für Raketen.
Außerdem gibt es eine ganze Kaserne, in der einst die intelligentesten Rekateningenieure Deutschlands lebten und arbeiteten.
Wo heute zahlreiche beliebte Wander- und Radwege verlaufen, fanden ab 1892 durch die kaiserliche Marine großangelegte militärische Versuche statt.
Die Nutzung des Geländes zu militärischen Zwecken
Aufgrund seiner nahen Lage zum Ufer der Nordsee, bot sich das Gelände als hervorragende Artillerieversuchsstelle an.
1892 noch für militärische Manöver genutzt, wurde ab 1912 auf dem Schießplatz Altenwalde Cuxhaven Schiffsmunition von Krupp-Schiffsgeschützen getestet.
Bei großen Artillerietests konnten großkalibrige Waffen getestet und Geschosse in das Sahlenburger Watt und das dahinterliegende Meer geschossen werden.
Ein weiterer Teil des Geländes gehörte bis 2003 zu einem großen Truppenübungsplatz.
Die ersten Raketentests in Cuxhaven
Bereits im Jahr 1933 wurden in Cuxhaven die ersten relativ simpel konstruierten Raketen getestet. Die ersten Versuche scheiterten häufig, sodass Raketen beim Start explodierten, außer Kontrolle gerieten oder nie weit flogen.
Verteidigungsstellungen auf dem Gelände
Während des Ersten Weltkrieges wurde eine Flottenabwehr Batterie auf dem Gelände betreut, um feindliche Schiffe abwehren zu können.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden weitere Flak-Stellungen und Scheinwerferbatterien an der Küste errichtet. Als sich der Krieg 1944 dem Ende neigte, die nationalsozialistische Führung mit einem Invasionsversuch der Alliierten an der Nordseeküste rechnete und dort eine Sicherheitslücke sah, wurden weitere Abwehrmaßnahmen errichtet. Zur Abwehr des vermuteten Landungsversuchs wurden neue Artillerien errichtet, große Schützengräben gegraben und Stellungen- und Bunker an der Küstenlinie errichtet.
Raketentests in Cuxhaven
Bereits zur Zeit der NS-Diktatur zwischen 1933 und 1945 wurde das Gelände zur Entwicklung von Raketen genutzt.
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden vom Schießplatz Altenwalde aus mehrere Versuchsflüge der V1 Rakete der SS gestartet. Im Jahre 1945 wurde als Ersatz für den Prüfstand VII in Peenemünde, eine Startrampe zur Erprobung der A4-Rakete (V2) bei Cuxhaven aufgebaut.
Doch die Alliierten beendeten die Versuche im Norden Deutschlands mit dem weiteren Kriegsverlauf.
Die Entwicklung von Postraketen
Was sind überhaupt Postraketen? Bei der Postrakete handelte es sich um eine Erfindung der 1930er Jahre, bei der eine Rakete mit primitivem, einstufigem Antrieb, Briefe an weiter entfernte Orte transportieren sollte. Dazu hatten Postraketen ein Fach mit einer Klappe, das sich am Kopf der Rakete befand.
Gerhard Zucker, ein deutscher Geschäftsmann und Raketenforscher startete unter anderem in Cuxhaven mehrere Postraketen, konnte dabei seine Idee jedoch nie finalisieren.
Im April 1933 startete in Cuxhaven eine Postrakete, die zwar erfolgreich abhob, jedoch kurz darauf abstürzte. Eine Serie weiterer erfolgloser Tests folgte. Darunter Weiterentwicklungen und neue Raketentypen.
Raketenspionage durch die Briten
Nach der deutschen Kapitulation Anfang Mai 1945 dauerte es nicht lange, bis britische Wissenschaftler das Gelände in Beschlag nahmen und nach Informationen und Equipment des geheimen deutschen Raketenprogramms suchten.
Operation Backfire – die Alliierten testen deutsche Raketen
Um die Informationen mit gefundenen Bauteilen auszuwerten, stellten die Briten im Wernerwald ein Team von fast 1.000 deutschen Wissenschaftlern, Physikern und Ingenieure zusammen.
Neben Wissenschaftlern waren auch hochrangige Militärs wie Wernher von Braun und Walter Dornberger teil der Mannschaft.
Sie sollten aus den vor Ort gefundenen Bauteilen und Informationen die V1- und V2-Raketen rekonstruieren.
Das „Versuchskommando Altenwalde“, wie die Mannschaft in Cuxhaven genannt wurde, war größtenteils im Lagerkomplex und in der Küstenfunkstelle untergebracht.
Um die Mannschaft und die Experimente zu bewachen und um die Prototypen zu erbauen, wurden etwa 2.500 britische Soldaten nach Altenwalde versetzt.
Sie setzten die von den Wissenschaftlern entwickelten Pläne um und konstruierten die Prototypen der Raketen, deren Bauteile teilweise nur schwer aufgetrieben werden konnten.
So waren in ganz Europa Kommandos auf der Suche nach einzelnen elementaren Komponenten unterwegs. Bis Juni 1945 konnten so mit 200 Lkws, 70 Flügen und 400 Wagons, die gefundenen Komponenten nach Altenwalde gebracht und dort drei Raketen erbaut werden.
Sie wurden mit viel Präzision errichtet und später auf das offene Meer abgeschossen.
Die Tests lieferten viele Informationen und Erkenntnisse über die Raketenwissenschaft der Deutschen und brachten den Forschungsstand rapide voran.
Bei einem Flugtest im Oktober 1945 wurden sogar etwa 200 Gäste eingeladen, um der neuzeitigen Technik bei einem der Versuche zu zusehen. Unter den Gästen waren hohe US-amerikanische und sowjetische Raketenforscher, welche das gewonnene deutsche Wissen über Raketen kurze Zeit später für eigene Militärprojekte in ihren Heimatländern effektiv nutzen konnten.
Für Raketentarts wurden zwischen Arensch und Sahlenburg unter Führung der Briten eine Startrampe und zwei Betonbunker errichtet, die heute noch teils vorhanden sind.
Ein Lehrfilm für die britische Armee wurde hier bei einem Raketenstart der V2 gedreht und kann heute im Museum in Peenemünde gesehen werden.
Die Zeit nach Operation Backfire
Nach „Operation Backfire“ wurde ein Großteil der Anlagen zurückgebaut und diverse Bunker gesprengt. Dennoch wurden weitere Raketentests durchgeführt.
Zu Beginn handelte es sich dabei allerdings um rein zivile Entwicklungen. Seit 1952 hatten sich Raketenforscher und Schiffbauingenieure der „Deutschen Raketengesellschaft e.V.“ (DAFRA) das Gelände für neue Raketenentwicklungen gesichert. Mit ihr werden viele gebildete Raketenwissenschaftler, die teils zuvor in Peenemünde gearbeitet haben, nun in Cuxhaven beschäftigt.
Weitere Raketentests
Am 8. Juni 1958 erfolgte der erste Startversuch von Raketen von Ernst Mohr, der Raketen zu Höhenforschungsprojekten entwickelte.
Seine Raketen waren so fortschrittlich, dass sie Gipfelhöhen von 50 Kilometern erreichen konnten. Trotz allen Fortschritts, konnten die Raketen kaum stabil durch die Luft fliegen und stürzten ständig ab. Der erste erfolgreiche Flug einer Ernst Mohr Rakete gelang am 14. September 1958.
Mit ihr sollen sich physikalische Messungen in den obersten Atmosphärenschichten durchführen lassen. Die Mohr Raketen hatten extreme Beschleunigungen. Sie konnten von 0 auf 4.320 Kilometer pro Stunde in nur zwei Sekunden beschleunigen. Sie waren damit absolut ungeeignet, um Menschen zu transportieren.
Ein halbes Jahr spätter, am 16. Mai 1959 gelang zudem der erste erfolgreiche Start einer Postrakete, die bereits 5000 Briefe transportierte und über eine Distanz von 3 Kilometern beförderte.
1959 wurde für Postraketen ein eigenes Postamt eingerichtet, indem Karten für Postraketen sortiert und verpackt wurden.
Später experimentierte man auch mit kleinen Paketen und Versorgungskisten an Bord von Postraketen.
Die neue Technik steigerte die Anzahl aufgegebener Briefe enorm und sorgte für großes Interesse in der Bevölkerung. In einem seperaten mobilen Postamt konnten Briefe für den Raketentransport aufgegeben werden.
Nachdem die Post in der Empfängerregion ankam, wurde sie in einem weiteren Postamt sortiert und mit einem besonderen Stempel markiert. Die finale Zustellung erfolgte per Postkurier oder durch Abholung. Heute sind diese besonderen Briefe mit Stempel begehrte Sammlerobjekte.
Erste Tiere starten Richtung Weltall
1960 startet im Dezember eine neuartige Rakete in Cuxhaven. Es handelt sich um die Kumulus-Rakete, die im Vergleich zur Rakete Von Mohr nur eine Höhe von knapp 20 Kilometern erreicht, dafür jedoch wiederverwertbar ist. Die Rakete konnte nach Erreichen des Gipfels per Fallschirm zu Boden segeln. So werden am 16. September 1961 mit einer solchen Rakete erstmals auch Tiere transportiert in die Luft geschickt. Ein Salamander und ein Fisch werden erfolgreich mit einer Rakete in die Luft gebracht und wieder sicher gelandet.
Weitere militärische Versuche
Später entwickelt unter anderem die „Waffen- und Luftrüstungs AG“, ein Zusammenschluss von Konzernen der deutschen Rüstungsindustrie, auf dem Gelände neue Raketen.
Sie präsentiert am 5. Dezember 1963 neue Raketen vor ausländischen Militärvertretern aus Nicht-NATO-Staaten. Doch international gibt es viel Kritik an dem Programm. Es wird befürchtet, dass die Raketen in Staaten exportiert werden könnten, die sie unverhältnismäßig einsetzen könnten.
Ab Juni 1964 gibt es keine Flug-Genehmigung mehr. Grund ist neben den bisherigen kritischen Meinungen auch ein Raketenunfall in Braunlage, bei dem ein Junge bei Raketenversuchen umkam. Es gab zunächst keine Flüge mit einer Flughöhe von mehr als 100 Metern dort, später gab es gar keine Versuche mehr.
Das Gelände wird kurz darauf als Nationalpark unter Naturschutz gestellt. Es ist Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Es gibt in Feucht (Nürnberg) das Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museum, das an die Entwicklung der Raketen „Kumulus“ und „Cirrus“ erinnert.
Heute sind nur noch Überreste der Bunker und Kontrollstände auffindbar.
Die Raketenstartrampen gibt es weiterhin und auch die Kaserne wurde nicht abgerissen.
Von dem ehemaligen Verladebahnhof sind nur noch Fundamente übrig.
Liste mit Koordinaten von alten Anlagen bei Cuxhaven
- Kaserne: 53.8150, 8.6448
- Aussichtsturm: 53.8183, 8.6313
- Startrampe: 53.8095, 8.63495
- Schießplatz: 53.8083, 8.64279
- Bunker: 53.8066, 8.63704
- Lagerhallen: 53.8025, 8.63548
- Startrampe: 53.8250, 8.60399
- Teststelle: 53.8281, 8.63181
Fotos:
- Postrakete: dpa/ndr
Eine Antwort
Kaserne und co. neu umzäunt, Startrampe abgerissen.